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Spiegelneuronen & Empathie: Warum Hochsensible Emotionen intensiver spüren

Stell dir vor, du sitzt in einem Café und beobachtest eine Person, die gerade eine heiße Tasse Kaffee verschüttet. Du zuckst zusammen, als wäre es dir selbst passiert. Du siehst einen abgemagerten Hund am Straßenrand. Du empfindest Mitleid und überlegst, was du tun könntest. Oder du schaust einen emotionalen Film und hast Tränen in den Augen, während dein Sitznachbar völlig unberührt bleibt. Kommt dir das bekannt vor? Dann könntest du zu den Hochsensiblen(HSP – Highly Sensitive Persons) gehören.

Aber warum erleben hochsensible Menschen Emotionen intensiver? Der Schlüssel liegt in den Spiegelneuronen – einer faszinierenden Entdeckung der Neurowissenschaften. Diese kleinen Nervenzellen in unserem Gehirn sind dafür verantwortlich, dass wir uns in andere hineinversetzen können. Besonders bei Hochsensiblen scheint dieses neuronale System besonders aktiv zu sein, was ihnen außergewöhnliche Empathie verleiht. Doch wie genau funktioniert das? Und wo liegen die Vor- und Nachteile dieser Fähigkeit?

Spiegelneuronen: Das geheime „Empathie-Netzwerk“

Spiegelneuronen wurden in den 1990er Jahren von Forschern um Giacomo Rizzolatti entdeckt. Sie befinden sich im prämotorischen Kortex und im Parietallappen des Gehirns und feuern sowohl, wenn wir selbst eine Handlung ausführen, als auch, wenn wir beobachten, wie jemand anderes dasselbe tut.

Diese Nervenzellen helfen uns, Emotionen zu „spiegeln“. Wenn jemand lacht, aktivieren sich in unserem Gehirn die gleichen Neuronen, als würden wir selbst lachen. Dasselbe passiert bei Schmerz, Trauer oder Freude – besonders stark bei hochsensiblen Menschen.

Wissenschaftliche Studien zu Hochsensibilität und Spiegelneuronen

Verschiedene Studien belegen, dass Hochsensible eine erhöhte neuronale Erregung in Bereichen zeigen, die mit Empathie verbunden sind:

  • Eine Studie von Dr. Elaine Aron, der Pionierin der Hochsensibilitätsforschung, zeigte mithilfe von fMRT-Scans, dass HSPs eine erhöhte Aktivität in den Insula- und Spiegelneuronen-Netzwerken haben.
  • Forschungen von Dr. Bianca Acevedo (2014) fanden heraus, dass hochsensible Personen besonders stark auf emotionale Gesichtsausdrücke reagieren – ihr Gehirn zeigt eine intensivere Aktivität in den für Empathie verantwortlichen Arealen.
  • Eine weitere Studie von Singer et al. (2004) belegte, dass Empathie tatsächlich auf einer neuronalen Ebene existiert und nicht nur eine psychologische Konstruktion ist.

Diese Forschungsergebnisse bestätigen, was viele Hochsensible intuitiv wissen: Sie spüren Emotionen nicht nur mit, sie erleben sie fast so, als wären es ihre eigenen. Die Erkenntnisse verdeutlichen auch, dass Hochsensibilität tief im neuronalen Netzwerk des Gehirns verankert ist und sich in spezifischen Hirnregionen manifestiert.

Gabe der Hochsensiblen: Vorteile in Gesellschaft und Beruf

Empathie ist ein unglaubliches Geschenk, das Hochsensiblen viele Vorteile im Alltag und im Beruf verschafft. Leider werden diese Ressourcen noch nicht genug erkannt und wert geschätzt. Der Nutzen empathischer Menschen für das Wohl einer Gesellschaft ist meist unbestritten, doch andererseits leben wir – und lernen wir den Fokus auf Leistungsfähigkeit.

Überlege dir einmal, welchen Unterschied es machen würde, wenn z.B. ein. Arzt nicht nur brillant. sondern auch emphatisch wäre.
Wie steht es mit CEOs, Rechtsanwälte, Ausbilder, Politiker, Behördenmitarbeiter, Lehrer …?

Es interessiert niemanden, wie viel du weißt, bis er weiß, wie sehr du dich kümmerst.“ Theodore Roosevelt

Hochsensible in sozialen Interaktionen

  • Sie können schnell erkennen, wie sich andere fühlen, und feinfühlig darauf eingehen.
  • Sie sind oft die „Seelentröster“ in ihrem Umfeld, weil sie intuitiv wissen, was andere brauchen.
  • In Konfliktsituationen können sie vermitteln und Lösungen finden, da sie beide Seiten wirklich verstehen.

Hochsensible im Beruf: Stärken nutzen

  • Therapeuten, Berater, Coaches – Sie können sich tief in ihre Klienten hineinversetzen und dadurch gezielt helfen.
  • Kreative Berufe – Ihre Sensibilität ermöglicht es ihnen, tiefgehende Kunst, Musik oder Literatur zu erschaffen, die andere emotional berührt.
  • Führungskräfte – Empathische Führungskräfte fördern ein harmonisches Arbeitsklima und erkennen die Bedürfnisse ihres Teams schneller.
  • Medizin & Pflege – HSP erkennen oft, wenn jemand leidet, noch bevor es ausgesprochen hat, was sie zu einfühlsamen Ärzten und Pflegekräften macht.

Wenn Empathie zur Herausforderung wird: Grenzen setzen

So wertvoll Empathie auch ist, sie kann manchmal zur Belastung werden. Besonders HSPs neigen dazu, die Emotionen anderer zu stark aufzunehmen, was sie emotional erschöpfen kann. Übungen aus der Psychotherapie lassen erkennen, wie sehr Hochsensible „bei-dem-anderen“ sind. Hier werden Emotionen des Gegenübers buchstäblich übernommen, das Leid oder die Enttäuschung bis hin zum „Mitleiden“.

Die Grenze zwischen Empathie und Mitleid sollte aber nicht überschritten werden. Das Thema „Grenzen setzen“ ist für viele ein sehr schwieriges, da es oft ihrer emphatischen Natur widerspricht. Wie Empathen lernen können, Grenzen ohne Schuldgefühle zu setzten, kannst du in diesem Artikel nachlesen..

Typische Herausforderungen für Hochsensible

  • Emotionale Erschöpfung: Zu viel Mitgefühl kann überwältigend sein.
  • Schwierigkeiten, „Nein“ zu sagen: HSPs wollen helfen, vergessen dabei aber oft ihre eigenen Bedürfnisse.
  • Manipulation und emotionale Ausnutzung: Ihre Gutmütigkeit kann ausgenutzt werden, wenn sie nicht achtsam sind.
  • Überforderung durch zu viele Reize: In lauten oder konfliktreichen Umgebungen können sie sich schnell überfordert fühlen.

Strategien für Hochsensible

Damit Empathie nicht zur Last wird, können HSPs folgende Strategien nutzen:

  • Emotionale Abgrenzung üben: Sich bewusst machen, dass nicht jede Emotion, die sie spüren, ihre eigene ist.
  • Gezielte Pausen einlegen: Zeit allein hilft, die aufgenommene Energie zu verarbeiten.
  • Achtsamkeit und Meditation: Diese Techniken helfen, sich nicht in den Gefühlen anderer zu verlieren.
  • Bewusst „Nein“ sagen lernen: Selbstfürsorge ist keine Egozentrik, sondern essenziell für das Wohlbefinden.
  • Mentale Schutzmechanismen entwickeln: Sich vorstellen, in einer schützenden Blase zu sein, kann helfen, emotionale Überforderung zu vermeiden.

Fazit: Hochsensible als empathische Brückenbauer

Die außergewöhnliche Empathie von Hochsensiblen ist eine wertvolle Gabe, die sie zu großartigen Zuhörern, kreativen Köpfen und mitfühlenden Mitmenschen macht. Dank ihrer aktiven Spiegelneuronen erleben sie die Welt intensiver – mit all ihren Höhen und Tiefen.

Doch gerade weil sie so stark fühlen, müssen HSPs lernen, ihre eigenen Grenzen zu schützen. Mit den richtigen Strategien können sie ihre Empathie bewusst einsetzen, ohne sich selbst zu verlieren. So können sie ihre Gabe als Stärke nutzen – für sich selbst und für die Welt um sie herum.

Glossar:

Insula: Dieses Areal spielt eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und der Selbstwahrnehmung. Studien zeigen, dass hochsensible Personen eine erhöhte Aktivität in der Insula aufweisen, was auf eine intensivere emotionale Verarbeitung hindeutet.

Spiegelneuronen: Diese Neuronen ermöglichen es uns, die Handlungen und Emotionen anderer nachzuempfinden. Bei Hochsensiblen ist das Spiegelneuronensystem besonders aktiv, was ihre ausgeprägte Empathiefähigkeit erklärt.

Prämotorischer Cortex: Dieses Hirnareal ist an der Planung und Ausführung von Bewegungen beteiligt. Bei hochsensiblen Personen zeigt der prämotorische Cortex eine verstärkte Reaktion auf beobachtete Handlungen, was auf eine erhöhte Fähigkeit zur Nachahmung und zum Verständnis anderer hindeutet.

Parietallappen: Dieser Bereich verarbeitet sensorische Informationen und ist an der räumlichen Orientierung beteiligt. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Hochsensible in diesem Bereich eine intensivere sensorische Verarbeitung aufweisen, was zu ihrer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen beiträgt.

Junge Frau inmitten weißer Luftballons sitzend.

Wenn du anfängst, dein Einfühlungsvermögen und deine Vorstellungskraft zu entwickeln, öffnet sich die ganze Welt für dich.“
Susan Sarandon

Die häufigsten Fragen zum Thema Hochsensibilität und Spiegelneuronen

Habe ich als hochsensibler Mensch automatisch mehr Spiegelneuronen?

Die Forschung ist hier noch nicht eindeutig, aber es ist eine plausible Hypothese. 

Wie kann ich meine Hochsensibilität als Stärke nutzen?

Indem man sich seiner Stärken bewusst wird und Strategien zur Stressbewältigung lernt. 

Wie kann ich mich vor Reizüberflutung schützen?

Indem man sich bewusst Pausen gönnt, Grenzen setzt und Entspannungstechniken erlernt.

Was tun, wenn ich mich von Emotionen anderer überfordert fühle?

Es ist wichtig, die eigenen Emotionen wahrzunehmen und sich von den Emotionen anderer abzugrenzen. 

Wie ist die Gehirnchemie von HSPs?

HSPs besitzen eine Variante des Serotonintransporter-kodierenden Gens, bekannt als 5HTTLPR. Dies senkt den Serotoninspiegel im Gehirn und erhöht die Sensibilität gegenüber der Umgebung. HSP verfügten möglicherweise über weniger stimmungsstabilisierendes Serotonin als andere – aber eine verbesserte Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen.

Titelbild: Milad Fakurian via Unsplash
Bild 2: Averie Woodard via Unsplash

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